Eines kann man wohl von vornherein sagen: Kneipp ist ein großer Mann gewesen. Das Prädikat »groß« ziert manchen historischen Namen. Aber bei näherer Prüfung erscheint dann diese Größe nicht selten zweifelhaft.
Nur zu oft ist die Bedeutung großer Menschen aus Blut und Tränen erwachsen. Häufig ist das Ergebnis ihres Wirkens für die Mitwelt, oder jedenfalls für einen Teil davon, manchmal noch für nachfolgende Generationen, verhängnisvoll gewesen.
Kneipp gehörte zu jener zum Glück nicht kleinen Gruppe von Menschen, die der Welt ausschließlich nur Gutes gebracht haben.
Nächstenliebe, Mitleid und der unwiderstehliche Drang, anderen zu helfen, sind die Triebkräfte seines Wirkens gewesen. Sie haben ihn zu einem der bedeutendsten Fortentwickler der Wasserheilkunde (Hydrotherapie), der naturgemäßen Ernährung und Allgemeinbehandlung werden lassen. Und dabei war er gar kein Arzt, sondern katholischer Pfarrer.
Die Frage, wie der Seelsorger auch zum Behandler
körperlicher Leiden werden konnte, ist sehr einfach zu beantworten. Es ist der historische Zufall, der das Genie manchmal ganz andere Wege gehen lässt, als ursprünglich vorgezeichnet zu sein
schien. Wie so oft bediente sich die Kraft, die alle Wege lenkt, des persönlichen Schicksalsschlages, um Fähigkeiten freizusetzen, die sonst sehr wahrscheinlich ungenutzt, ja sogar unbemerkt
geblieben wären.
Sebastian Kneipp wurde am 17. Mai 1821 in dem kleinen Dorf Stephansried im schwäbisch-bayrischen Allgäu geboren. Hier zwar in schöner Landschaft, aber in größter
Bescheidenheit, wuchs Sebastian Kneipp auf.
Nur mit Hilfe von Förderern war es ihm möglich, das Gymnasium zu besuchen und nach dem Abitur mit dem Studium zu beginnen. Doch nun trat das Ereignis ein, das für sein ganzes Leben
und späteres Wirken von Entscheidung sein sollte.
Kneipp erkrankte an einer nach damaligem Wissen unheilbaren Lungentuberkulose, welche durch die Sektion nach seinem Tod eindeutig bestätigt werden konnte. Seine Lage schien
hoffnungslos, niemand konnte ihm helfen. Doch immer wieder sich aufraffend, versuchte er weiterzustudieren.
In der Münchner Hofbibliothek gerät eines Tages ein medizinisches Werk in seine Hände, mit dem Titel »Unterricht über die Kraft und Wirkung des frischen Wassers in die Leiber der
Menschen«, von Dr. med. Johann Sigmund Hahn, Arzt in Schweidnitz an der Oder, 1738 geschrieben.
Den in diesem Buch empfohlenen Wasseranwendungen von bemerkenswerter Stärke und Intensität unterzog sich der Studiosus Sebastian Kneipp.
Von München an seinen ursprünglichen Studienort Dillingen an der Donau zurückgekehrt, nahm er im Winter 1849 kurze Bäder im eiskalten Fluss, dazu noch in der Nacht, um möglichst
nicht gesehen zu werden. Danach legte er sich ins Bett, schlief tief und lange, wurde allmählich kräftiger und schließlich gesund.
Wohin den späteren Pfarrer der geistliche Dienst auch rief, überall wurden seine ärztlichen Fähigkeiten bekannt, die er durch Selbststudium mehr und mehr vertiefte. Überall drängten
sich Menschen zu ihm, die sich ihre geplagten Leiber behandeln lassen wollten.
Als Kneipp dann schließlich in dem damals noch nicht »Bad« genannten Wörishofen seinen endgültigen Amtssitz fand, kam es trotz des Widerstandes von ärztlicher und kirchlicher Seite
zu einem regelrechten Sprechstundenbetrieb, der den kleinen Ort bis weit über die Grenzen Deutschlands bekannt machte und die Entwicklung zum heute allgemein anerkannten großen Heilbad
einleitete.
Kneipp ist nicht Entdecker der Hydrotherapie. Er hat diesen Ruhm auch nie für sich in Anspruch genommen. Er ist ihr Wiederentdecker und dadurch, dass er die einzelnen Wasseranwendungen
milderte, differenzierte und individuell dosierbar machte, ihr Reformator geworden.
Sein weiterer Verdienst ist, dass er den Begriff der Naturheilung aus dem Dunkel der Mystik herausbrachte. Mit dem Bemühen, das Anregen körpereigener Heil- und Abwehrkräfte durch äußere Reize
biologisch zu erklären, hat er wesentlich dazu beigetragen, dass die allgemeine Therapeutik, insbesondere die Hydrotherapie, wissenschaftlich fundiert wurde.
Durch das Erkennen der leib-seelischen Zusammenhänge ist Kneipp ein Vorläufer der modernen Psychosomatik geworden. Sein ständiges Bestreben, mit Ärzten zusammenzuarbeiten, und sein
testamentarischer Wille, dass Ärzte sein Heilverfahren pflegen und weiterentwickeln sollten, hat die Hydrotherapie davor bewahrt, nach seinem Tod zur obskuren Außenseitermethode
herabzusinken.
Von Dr. med. Wolfgang Stage aus: »Das Kneipp-Taschenbuch«.
Sebastian Kneipp über Heilmethoden:
" Nach meiner Meinung ist jene Heilmethode die beste, welche den ganzen Körper unterstützt, so dass alles Schädliche aufgelöst und ausgeleitet und jede Entwicklung einer Krankheit verhindert werden kann.
Dann wird auch die kranke Stelle in Bälde geheilt sein."